Nach einer gescheiterten Karriere als Zeitsoldat, einem abgebrochenen Lehramtsstudium nach dem vierten Semester und einer anschließenden Physiotherapieausbildung, bei der ich durch die Abschlussprüfung – Staatsexamen – gefallen bin, wurde mir die einmalige Gelegenheit gegeben, an einem Berufsförderungswerk eine (schulische) Ausbildung zum Industriekaufmann zu absolvieren.
Die Gründe für das berufliche Scheitern in meinen jungen Jahren waren mehrere Erkrankungen bzw. Diagnosen. Etwa mit 15 Jahren bin ich an einer Depression erkrankt, die nicht behandelt wurde, weil damals mein Umfeld und insbesondere meine Eltern der Meinung waren, dass sich das Ganze schon mit dem Ende der Pubertät „auswächst“.
Nach dem Abitur hatte ich mich als Reserveoffiziersanwärter und Zeitsoldat auf zwei Jahre bei der Fallschirmjägertruppe verpflichtet. Meine Erlebnisse und die generell harten Bedingungen dort (Drill, etc.) mündeten nach zehn Monaten in einen ersten psychotischen Schub. Ich kam so das erste Mal in meinem Leben für drei Monate in eine Klinik, aus der ich stabil entlassen wurde.
Allerdings stand nun die Frage im Raum, wie es beruflich weiter gehen sollte. Zwei Bewerbungen um einen Studienplatz im Studiengang Forstwirtschaft wurden aufgrund meines nur durchschnittlichen Numerus Clausus abgewiesen. Ich musste mir also kurzfristig eine Alternative überlegen und begann ein Lehramtsstudium. Zwischenzeitlich ging es mir gesundheitlich auch wieder so gut, dass ich eigenmächtig und trotz Warnung meines behandelnden Arztes die Medikamente absetzte. Das ging auch erstmal neun Monate lang ohne Komplikationen, bis die ersten psychotischen Symptome wiederkehrten. Allerdings wollte ich zu diesem Zeitpunkt nicht zurück in eine Klinik, sondern in meiner eigenen Wohnung ambulant gesund und stabil werden. An Weiterstudieren war zu diesem Zeitpunkt und in diesem Zusammenhang nicht mehr zu denken. Die Regenerationsphase dauerte etwa ein Jahr. Ich hatte mich inzwischen exmatrikuliert und Stand erneut vor der Frage, wie es beruflich weitergehen sollte.
Ich entschloss mich für eine Ausbildung zum Physiotherapeuten, die auch anspruchsvoll ist. Hier kämpfte ich zum ersten Mal aktiv um einen Abschluss – hatte ich doch in meiner Schulzeit eher abgehangen. Allerdings wurde während der Ausbildung und vor allem während der Praktika deutlich, dass ich im zwischenmenschlichen Bereich einige Probleme hatte. Small Talk war so gar nicht meins und ich hatte auch Schwierigkeiten, mich empathisch in meine Patienten hinein zu versetzen. Da wurde zum ersten Mal sehr offensichtlich, dass ich im sozialen Kontext die Schwierigkeiten hatte, die bei mir (erst) im Alter von 35 Jahren und nach einer langen Leidenszeit als soziale Ängste diagnostiziert wurden. Die Diagnose ist für soziale und therapeutische Berufe das Ausschlusskriterium schlechthin. So kam es, dass ich drei Monate vor der Abschlussprüfung erneut mit psychotischen Symptomen in eine Klink kam und erstmal aus dem Lehrbetrieb raus war. Die Situationen in den Praktika der Physiotherapieausbildung hatten mich aufgrund der sozialen Ängste nach und nach destabilisiert. Ich hatte mich während der ganzen Zeit der Ausbildung unwohl gefühlt und als ich schlussendlich durch die Abschlussprüfung gefallen war, war das fast wie eine Erlösung.
Dies änderte aber nichts daran, dass ich beruflich immer noch nicht weitergekommen war. Allerdings bekam ich von einer Sozialarbeiterin aus der letzten Klinik den Tipp, dass ein Berufsförderungswerk ggf. etwas für mich wäre und sie für mich mit meinem Kostenträger – in meinem Fall die Agentur für Arbeit – Kontakt aufnehmen könnte. Das war zu diesem Zeitpunkt das Beste, was mir mit meinem gesundheitlichen Hintergrund passieren konnte.
Die Ausbildung fand nicht in einem „realen“ Wirtschaftsunternehmen statt, sondern über zwei Jahre schulisch und in einem geschützten Rahmen. Dadurch stand man nicht in Konkurrenz zu Kolleginnen und Kollegen, wie sonst in der Wirtschaft üblich. Auch hatte das Berufsförderungswerk keinen Umsatzdruck und musste auch keine Produkte verkaufen.
Im zweiten Jahr der Ausbildung wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in einer sogenannten Übungswerkstatt praktisch geschult. Hier wurde ein „normaler“ Arbeitsalltag simuliert und man konnte das theoretisch erlangte Wissen nun praktisch ausprobieren und anwenden. Am Ende des zweiten Jahres stand noch ein zweimonatiges Praktikum in einem „richtigen“ Unternehmen an. Und danach die Abschlussprüfung. Diese wurde übrigens von Vertretern der Industrie- und Handelskammer abgenommen. Wir Rehabilitanden hatten keine Sonder-Prüfung, sondern dieselbe, die auch „normale“ Auszubildende zur Industriekauffrau und zum Industriekaufmann absolvieren mussten.
Meine – auch hier immer noch nicht offiziell diagnostizierte – sozialen Ängste spielte in der Zeit der Ausbildung nicht so eine herausragende Rolle, denn alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer hatten selbst diverse gesundheitliche Beeinträchtigungen und / oder auch Behinderungen und somit gab es ein allgemeines Verständnis und Rücksichtnahme für und auf die Defizite der einzelnen Mitstreiterinnen und Mitstreiter. Dieses „Angenommenwerden“ mit all meinen Einschränkungen hat mir wirklich am meisten geholfen.
Auch möchte ich noch darauf hinweisen, dass das gesamte Programm aus Steuermitteln voll finanziert wurde: Unterkunft im Wohnheim, Vollverpflegung, zwei Heimfahrten im Monat, Literatur zum Lernen, Ankopplung an den ärztlichen und psychologischen Dienst, Schülerausweis, Sportmöglichkeiten. Ich konnte in diesen zwei Jahren Schritt für Schritt gesünder werden und hier wurde auch der Grundstein gelegt, für meine anschließende akademische Ausbildung.
Zu guter Letzt: Ich würde mir wünschen, dass diese Möglichkeit einer Ausbildung bzw. einer Umschulung an einem Berufsförderungswerk besser kommuniziert werden würde. Es hätte mir sehr geholfen, wenn ich davon schon mit Anfang 20 und nicht erst mit Ende 20 erfahren hätte. Dann hätte ich mir das Lehramtsstudium und die Physiotherapieausbildung, die beide auch nicht gerade günstig waren, sparen können und hätte auch nicht sechs Jahre verschenkt. Auch die Testung auf die Diagnose sozialen Ängste musste ich aktiv einleiten. In der letzten Klinik, in der ich aufgrund eines psychotischen Schubes war, wurde mir, aufgrund meiner Hinweise auf meine sozialen Defizite im zwischenmenschlichen Bereich, allen Ernstes geraten, dass ich „mich so annehmen soll, wie ich halt bin“.
Ich empfinde es als wirklich ärgerlich bis hin zu unerträglich, dass man sich als Patient um so ziemlich alles selber kümmern muss und teilweise von Glück und / oder Zufällen abhängig ist, damit man sein Leben und seine Gesundheit in den Griff bekommt.