Trotz der Selbsteinweisung war mir anfangs nicht wirklich klar, wo ich war. Ich hielt die Psychiatrie zeitweise für einen Schutzort für hochbegabte Autisten, das Paradies – wegen des Apfelbaums im Garten – und erkannte auch hier Menschen wieder, die nicht dort waren. Ein Mädchen hielt ich aufgrund ihrer Frisur und ihrer eher schüchternen Art für meine Cousine, vor einem anderen Mädchen hatte ich Angst, da sie bei einem Kunstprojekt einen weißen Kittel trug und „Nati” (Nathalie) genannt wurde, was ich als „Nazi“ verstand und dachte, sie wäre eine Ärztin aus der Zeit des Nationalsozialismus.
Das Thema Krieg spielte allgemein für mich eine große Rolle. Zeitweise dachte ich, der 3. Weltkrieg habe begonnen, was sicherlich mit dem Geschichtsunterricht der Oberstufe zu tun hatte. Mein verwirrter Verstand verdrehte jede Information. Zeitungsberichte über Bakterien im Wasser veranlassten mich zur Duschverweigerung, Meldungen über Kometen waren Hinweise darauf, dass der Heimatplanet meiner Familie endlich gefunden wurde – ich bin Science-Fiction-Fan. Die altmodische Schriftart des Zeitungstitels veranlasste mich letztendlich dazu, zu glauben, die Zeitung stammte aus dem dritten Reich und wurde von bösen Menschen geschrieben.
Toll war der Tag, an dem ich dachte, ich lebe auf dem Mond, nicht schön wiederum die Vorstellung, die Sonne sei auf die Erde gekracht, welche mich dazu motivierte, einige Zeitlang nur mit Sonnenbrille vorsichtig aus dem Fenster zu spitzeln. Die Medikamenteneinnahme akzeptierte ich, da ich dachte, dass die Medikamente gegen meine Vergiftungen helfen würden. Meine Wahngedanken und die Positivsymptomatik nahmen langsam ab. Es war ein schleichender Prozess, den ich kaum bemerkte. Sicherlich hätte ich die Medikamenteneinnahme verweigert, wenn mir die Ärzte und das Pflegepersonal wie der Psychiater im Krankenhaus Angst gemacht hätten und nicht so verständnisvoll gewesen wären. An einem Tag nach circa zwei Monaten fragte meine behandelnde Psychiaterin nach, ob ich bestimmte Annahmen immer noch glauben würde. Ich verneinte und wurde mir da bewusst, wie sehr ich in den letzten Monaten danebengelegen hatte.
Insgesamt blieb ich fünf Monate lang in der Klinik. Eine Zeit, die mir aufgrund meiner Wahnvorstellungen zum Teil auch als spannend, aber in erster Linie sehr positiv aufgrund der guten Behandlung im Gedächtnis geblieben ist. Es gab Kunsttherapien, tiergestützte Therapien und Bewegungstherapien, die mir gut gefallen haben. Gerade zum Ende meines Aufenthalts hätte ich gerne mehr Therapien besucht, da sich an meine akut schizophrene Phase Negativsymptomatik anschloss, die mir stimmungsmäßig zusetzte.
Mir wurde auch bewusst, dass ich mein Abitur so nicht schaffen würde. Das, worauf ich immer so hart hingearbeitet habe und wofür ich alles andere in meinem Leben hintenangestellt hatte. Mehr Ablenkung hätte mir gutgetan. Auch wurde mir leider nicht geglaubt, dass mein Exfreund mich schlecht behandelt hatte. Dies wurde als Wahnvorstellung fehlinterpretiert, was ich noch im Nachhinein sehr schade finde. Nicht alles, was ein Mensch sagt, der akut an Schizophrenie erkrankt ist, ist irreal.