Nach der Entlassung wurde ich anfangs von einer Sozialpädagogin in die Schule begleitet, fing erst langsam wieder an, Fächer zu belegen und wiederholte das 11. Schuljahr, das ich eigentlich schon sehr gut bestanden hatte. Der Grund dafür war, dass es für mich völlig undenkbar gewesen wäre, direkt das Abschlussjahr zu absolvieren. Jedoch merkte ich schnell, dass mein Vorhaben nicht funktionieren würde. Die Medikamente machten mich fett, träge und langsam. Ich litt zudem unter Nebenwirkungen wie dem medikamentösen Parkinsonsyndrom und Blickstarre. Nach der Wiederholung des Schuljahrs wechselte ich daher zunächst auf die Berufsschule und machte die Ausbildung zur Kinderpflegerin. Was mich neben den starken und lebenseinschränkenden Nebenwirkungen der Medikamente sehr belastete, war die Tatsache, nie über meine Erlebnisse und meine Erkrankung reden zu können.
Ich wusste, dass mir Vorurteile entgegenschlagen würden. Auch war ich mir der beruflichen Diskriminierung bewusst. Als Kinderpflegerin in Ausbildung hätte ich mit Sicherheit sofort meinen Ausbildungsvertrag verloren, hätte ich offen über meine Vorerkrankung geredet. Die Gewalt schizophrener Straftäter, über die in den Medien berichtet wird, lässt die Bevölkerung gleichermaßen unschuldige Erkrankte spüren. Als bekennende Schizophrenie-Kranke wären mir soziale und berufliche Ausgrenzung, Diskriminierung und Stigmatisierung sicher. Aus diesem Grund beschloss ich, meine Vergangenheit ruhen zu lassen, machte die Ausbildung zur Erzieherin unter der falschen Angabe beim Betriebsarzt, nie psychisch erkrankt gewesen zu sein, holte mein Abitur nach, konnte die Medikamente absetzen und besann mich zurück auf meinen Plan. Mittlerweile studiere ich Mathematik und werde in wenigen Semestern meine Bachelorarbeit schreiben.
Trotz allem blieb der schale Beigeschmack, ein Leben zu führen, das wieder eine Lüge war. Wie auch zu Schulzeiten drängte ich Negatives beiseite, um beruflich erfolgreich zu sein. Unter einem Pseudonym versuche ich daher, für mehr Akzeptanz der Erkrankung Schizophrenie innerhalb unserer Gesellschaft zu werben. Dieses Engagement ist für mich wichtiger als mein Studium, mein zukünftiger Job und alles andere, da ich darin meinen Lebenssinn gefunden habe. Ich kann es sicherlich auch aufgrund meiner eigenen Geschichte nicht ertragen, zu sehen, wenn Menschen aufgrund von Vorurteilen und Hass ausgegrenzt werden, fühle mich verantwortlich dafür, etwas zu ändern!
Wichtig ist mir dabei, dass Erkrankte, Angehörige, Ärzte und Fachpersonal sich idealerweise gemeinsam engagieren, über den aktuellen Wissensstand zur Erkrankung Schizophrenie informiert sind und zum Abbau von Vorurteilen innerhalb unserer Gesellschaft beitragen. Meine Geschichte soll dazu motivieren, die eigene Ansicht über Schizophrenie anzuzweifeln: Schizophrenie-Kranke sind zum Großteil nicht gewalttätig und zudem gibt es viele Erkrankte, deren Bildungsstand genauso gut oder besser ist als der des Bevölkerungsdurchschnitts. Zudem erfahren sehr viele Erkrankte Gewalt, was in den Medien praktisch kaum thematisiert wird
Vielen Dank, dass Sie meinen Text gelesen haben.